Suchers Leidenschaften: Sarah Kane

Suchers Leidenschaften: Sarah Kane

Love me or kill me

 

 

Nur wer Angst vor dem Leben und dem Lieben hat, verachtet die Texte der Engländerin Sarah Kane. Jeder, der von der Liebe mehr wissen will als das, was die Klischees bieten – Herz und Schmerz, Himmelsseligkeit und Höllenqual –, sollte sich auf Sarah Kane einlassen. Mit ihren Gedanken lassen sich Massel und Marter eher ertragen, weil wir diese Emotionen dann wahrnehmen (müssen) als notwendige und sinnvolle und zugleich erschreckende Vervollkommnung von Dasein überhaupt. Kane ist nicht destruktiv-negativ, sondern auf abenteuerliche und grauenerregende Art konstruktiv-positiv! „Als Emotion ist die Liebe stärker als alles andere auf der Welt. Aber als gesellschaftliche Kraft birgt sie ein großes Handicap. Liebe ist absolut individualistisch als Aktion, als Handlung etwas sehr Einsames. Zu lieben bedeutet, sich zu isolieren vom Rest der Welt.“ Was für ein Gedanke!

 

Viele (vor allem britische) Kritiker und Zuschauer halten Sarah Kanes Dramen für obszön, brutal, eklig. Sie haben sie diffamiert, weil sie nicht hören wollten, dass in ihnen Anderes laut wird, nämlich: die Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Sympathie, nach Mitleid, nach Liebe.

 

Diese Frau, die auf Fotos aussieht wie ein sehr sympathischer, heiterer Knabe – mit einem Stoppelhaarschnitt, wachen Augen und einem bübischen Lachen, war ein kurzes Leben lang, das am 3. Februar 1971 in Essex begann und das sie selbst am 20. Februar 1999 willentlich beendete, von der Existenz angewidert. Recht eigentlich sind alle Kane-Stücke Selbstmord-Texte. Denn selbst jene, die gemordet werden, sehnen sich nach dem Tod – und sind froh, dass sie sich nicht selbst zuvor hatten töten müssen. (C. Bernd Sucher)

 

C. Bernd Sucher, der seine Vortragsreihe „Suchers Leidenschaften“ von dieser Spielzeit an im Metropoltheater fortsetzen wird, beschäftigt sich in "Love me or kill me" mit Sarah Kanes letztem Stück 4.48 Psychose, das im Juni 2000 posthum am Royal Court Jerwood Theatre Upstairs uraufgeführt wurde und ab 29.10.2021 im Metropoltheater zu sehen ist. Es stellt den Höhepunkt in Kanes Schreiben dar, was Fragmentierung, Aufbrechen klarer Perspektiven und Rollen und Poesie betrifft. Ist aber keineswegs vergleichbar mit dem Sprachflächen-Theater der Elfriede Jelinek. Es ist ein verstörender Text, ein gewaltiger, aber ist es ein trostloser? Nein! Zum einen, weil er auch witzig ist, zum anderen, weil auch dieses letzte Werk von der Liebe spricht.


Von und mit C. Bernd Sucher

 

Mit Judith Toth und Thomas Meinhardt


Veranstalter: Metropoltheater München gGmbH